Neues Tourismuskonzept Berlin: stadtverträglich und nachhaltig

Berlin boomt, jedes Jahr steigt die Zahl der Touristinnen und Touristen. Das zeigt, wie attraktiv die Hauptstadt ist. Es entstehen neue Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen sprudeln. Aber es gibt auch einige neue Herausforderungen und Probleme durch den Tourismusboom. Darum haben die Koalitionsfraktionen SPD, Linke und Grüne einen umfangreichen Antrag für ein neues Tourismuskonzept Berlin in das Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht.

Die Entwicklung der letzten Jahre im Bereich Tourismus stellen die Stadt und insbesondere beliebte innerstädtische Kieze vor neue Herausforderungen. Seit geraumer Zeit verändert sich der Städtetourismus und wandeln sich die Erwartungen der Besucher/-innen. Städtische Räume und Ressourcen werden von Touristen und Touristinnen und Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen zunehmend ähnlich genutzt. Kombiniert mit einer veränderten innerstädtischen Nachfrage stellt das die Stadt vor neue Herausforderungen.

Diesen Entwicklungen will die Berliner Koalition aus SPD, Linken und Grünen mit einem neuen Tourismuskonzept Berlin begegnen. Damit der Tourismus in Berlin auch zukünftig eine wichtige Rolle spielt und einem steigenden Akzeptanzverlust insbesondere bei der Bevölkerung in den innerstädtischen Bezirken entgegengewirkt wird, muss das Konzept tragfähige und zukunftsweisende Ansätze entwickeln und Stadtverträglichkeit und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen.

Touristen und Touristinnen müssen als Stadtnutzer/-innen verstanden und eine entsprechend umfassende Gesamtstrategie muss erarbeitet werden. Vor dem Hintergrund steigender Besucherzahlen und eines immer intensiver genutzten Stadtraums mit verschiedenen Nutzungsinteressen erscheint es immer notwendiger, für die Auswirkungen touristischer Nutzungen und die daraus resultierenden Konflikte in den Kiezen kooperative und stadtverträgliche Lösungen zu finden.

Daher soll die Einbindung und Beteiligung der Bewohner/-innen vor Ort gestärkt und verstetigt werden. Durch die Öffnung des Runden Tisches Tourismus einerseits und durch die Etablierung eines begleitenden Bürger/-innenbeirats andererseits soll die Hinwendung zur und die Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft weiter verstärkt werden. Die Außenbezirke sind in diese Überlegungen einzubeziehen und auch touristische Möglichkeiten hier mehr zu flankieren.

Eine enge Zusammenarbeit der von touristischen Maßnahmen betroffenen Senatsverwaltungen ist für die Erstellung des Konzeptes von herausragender Bedeutung. Von ihr hängt auch der Erfolg ab, den Tourismus in Berlin nachhaltig und stadtverträglich zu gestalten.

Daniel Buchholz, Sprecher für Stadtentwicklung und Umwelt der SPD-Fraktion, ist einer der Unterzeichner des Antrags und hat ihn im Stadtentwicklungsausschuss vorgestellt. Buchholz begrüßte in seinem Wortbeitrag, dass Berlin eine große Anziehungskraft auf Besucher habe. Mit der Neuauflage eines „Tourismuskonzept Berlin“ wollten die Koalitionsfraktionen eine neue Qualität erreichen.

Man müsse eine Nutzungsmischung in der Stadt erreichen und verhindern, dass Anwohner in einzelnen Kiezen durch den Tourismus stark beeinträchtigt oder gar verdrängt würden. Es gebe Ausflugsziele in der Stadt, wie den Müggelsee, die Zitadelle Spandau oder das Tegeler Fließ, die noch nicht bekannt genug seien und mit denen eine bessere Verteilung der Touristen möglich sei.

Seine Fraktion stehe dem Bau von Hotels weniger kritisch als andere Fraktionen gegenüber. Sie seien ein Zeichen für die Attraktivität Berlins, und falls künftig weniger Übernachtungsmöglichkeiten benötigt würden, könnten sie auch als Studentenappartements u. Ä. genutzt werden.

Alle Bezirke müssten in die Tourismuswirtschaft einbezogen werden. Bezirkliche Tourismus-vereine müssten wirtschaftlich unterstützt werden, z. B. um den Wassertourismus und Industrierouten zu stärken. Dabei müsse auch der Austausch mit Brandenburg gesucht werden.

Auch er habe sich gefragt, was die FDP unter hochwertigen Kulturangeboten verstehe. Er halte es für problematisch, das zu definieren. Berlin lebe von der Vielfalt der Kultur, und es sei kontraproduktiv, daran etwas ändern zu wollen.

.

Hier der Antrag der Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Wortlaut (Drucksache 18/0581). Er wurde am 14.12.2017 mit den Stimmen fast aller Fraktionen im Parlament beschlossen, lediglich die FDP-Abgeordneten stimmten dagegen.

Neues Berliner Tourismuskonzept für einen stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus

Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:

Der Senat wird aufgefordert, ein Tourismuskonzept weiter zu entwickeln, das auf einen langfristig stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus ausgerichtet ist und mit einem zielorientierten Maßnahmenplan unterlegt wird. Beinhalten soll das Konzept eine umfassende qualitative und sozial-ökologische Neuausrichtung des Stadttourismus. Das Konzept soll als Grundlage für das Verwaltungshandeln von Land und Bezirken, die räumliche Planung und für politische Steuerung sowie Handlungsaufträge an landeseigene Betriebe gelten.

Die zu erarbeitenden Leitlinien sollen die folgenden Maßnahmen berücksichtigen:

  • Entsprechend der Zielstellung dieses Antrags, insbesondere in Bezug auf die Entwicklung eines stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus, wird der Senat aufgefordert, eine Neuausrichtung des touristischen Marketings Berlins durch visit. Berlin zu beauftragen.
  • Der „Runde Tisch Tourismus“ wird fortgeführt und weiterentwickelt. Der Teilnehmer- und Teilnehmerinnenkreis des Dialogs soll durch Vertreter/-innen von Kultur, Wissenschaft, Bezirken, bezirklichen/regionalen Tourismusvereinen, themenbezogen arbeitenden stadtpolitischen Initiativen und Anwohnern und Anwohnerinnen erweitert werden.
  • Es soll ein Bürger/-innenbeirat ins Leben gerufen werden, der eine stärkere und kontinuierliche Beteiligung der Bevölkerung ermöglichen soll.
  • Die Nutzungsmischung, Nahversorgung, soziale Infrastruktur und bestehender leistbarer Wohnraum in den Kiezen müssen erhalten bleiben, ein fairer Interessensausgleich zwischen allen Stadtnutzern und Stadtnutzerinnen, den Anwohnern und Anwohnerinnen, Gewerbetreibenden und Besuchern und Besucherinnen muss angestrebt werden. Eine aussagekräftige Bestandsanalyse zum derzeitigen Tourismus in Berlin (Analyse von Besucherströmen, positiven und negativen Auswirkungen) soll erhoben werden.
  • Durch die Einführung eines Tourismusmonitorings sollen Besucherströme qualitativ erfasst werden. Quartiersprofile und Quartiersentwicklungsziele sind ebenso Teil des Monitorings wie An- und Abreiseverkehr sowie daraus resultierende Folgewirkungen.
  • Alle Bezirke sollen tourismuswirtschaftlich profitieren können. Sehenswürdigkeiten auch in Randlagen sollen stärker beworben werden. Hiervon soll auch eine Entlastungswirkung für stark frequentierte Innenstadtlagen ausgehen.
  • Von den Mitteln zur Förderung des Tourismus sollen zukünftig stärker auch die Bezirke sowie die bezirklichen Tourismusvereine profitieren. Jeder Bezirk soll in Zusammenarbeit mit dem bezirklichen Tourismusverein seine aktuellen Entwicklungen, Probleme und individuellen Bedarfe im Handlungsfeld Tourismus identifizieren und gezielt mit Projekten bzw. Maßnahmen untersetzen. Zur Umsetzung kann in den Bezirken die Stelle einer/s Tourismusbeauftragten geschaffen werden. Der Senat soll die Bezirke bei der Erarbeitung eigener ergänzender bezirklicher Tourismuskonzepte unterstützen.
  • Touristisch stark beanspruchte Bezirke werden insbesondere beim Thema „Saubere Stadt“ unterstützt. Die Einstufung in höhere Reinigungsklassen der BSR darf nicht zulasten von Mietern und Mieterinnen und Anwohnern und Anwohner innen gehen. Das erfolgreiche Pilotprojekt Parkreinigung der BSR wird weiter ausgebaut.
  • Die Erstellung eines stadtweiten Hotelentwicklungsplans wird auf den Weg gebracht, mit Hilfe dessen die Ansiedlung neuer Beherbergungsbetriebe gesteuert werden soll. Die Genehmigung neuer Beherbergungsstätten und legaler Ferienwohnungen orientiert sich an dem Ziel der Stadtverträglichkeit, der Konzentration bereits vorhandener Betriebe, der Verhinderung der Zweckentfremdung von Wohnraum und einer Sicherung bezahlbaren Wohnraums im Bestand. Dabei sollten auch regionale Unterschiede der Belastung berücksichtigt werden.
  • Die Vielfalt des Wassertourismus in Berlin soll auch in Zusammenarbeit mit Brandenburg umweltverträglich weiterentwickelt werden. Maßnahmen zur Steigerung der Umweltverträglichkeit, wie etwa die Umrüstung auf Dieselrußfilter, sind zu forcieren.
  • Vor dem Hintergrund der Belastung der Bevölkerung durch Feinstaubimmissionen soll die weitere Entwicklung der Tourismuswirtschaft, vor allem der touristische Verkehr, nachhaltig und umweltfreundlich gestaltet werden. Zudem soll ein Konzept für tourismusinduzierte Mobilität auf den Weg gebracht werden. Das bereits in Erarbeitung befindliche Konzept „Wasserwandern in Berlin“ soll dabei mit als Grundlage dienen.
  • Die Entwicklung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor Berlins soll fortgeführt und die Position Berlins als internationales Reiseziel für Kongresstouristen und Kongresstouristinnen weiterentwickelt und ausgebaut werden.
  • Die touristische Infrastruktur und das Wegeleit- und Hotelleitsystem werden weiter stadtweit ausgebaut. Hierzu gehören u.a. Toiletten und Sitzgelegenheiten. Der Ausbau erfolgt barrierefrei und bei Bedarf mehrsprachig.
  • In bestehenden Schwerpunkten touristischer Entwicklung und der weiteren Tourismusentwicklung sollen Lärmemissionen reduziert bzw. vermieden und der Lärmschutz der Bevölkerung stärker als bisher berücksichtigt werden. Interessen von Anwohnern und Anwohnerinnen sind einzubeziehen.

Der Senat wird weiterhin aufgefordert, Initiativen zur Verbesserung der arbeits- und sozialrechtlichen Situation und Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe zu unterstützen.

Neben dem verstärkten Austausch mit Brandenburg und der Entwicklung gemeinsamer touristischer Projekte soll das neue Tourismuskonzept auch die Kooperation mit Polen, mit anderen Kultur-Metropolen sowie europäischen Hauptstadtregionen und Berlins Partnerstädten enthalten.

Eine Berliner Route der Industriekultur wird als Straßenrundkurs erweitert. Ziel ist es, das industriekulturelle Erbe Berlins so zu vernetzen, dass ausgeschilderte Straßenrouten die Highlights der Berliner Industrielandschaft für interessierte Berlinbesuchern und Berlinbesucherinnen erfahrbar machen.

Das Konzept soll die Potentiale der Gesundheitsangebote und der Naherholungsräume leichter erfahrbar machen und touristisch vernetzen. Über die Umsetzung ist dem Abgeordnetenhaus erstmalig zum 31.12.2017 und künftig halbjährlich zu berichten.